Noch alle Tassen im Schrank

Noch alle Tassen im Schrank

Herrn Friedrich Merz
CDU-Parteivorsitzender

Sehr geehrter Herr Merz,

ich bin seit vielen Jahren IT-Unternehmer und ehrenamtlich als Vorsitzender eines großen Kölner Vereins mit über 5.000 Mitgliedern engagiert.

Wir haben vieles gemeinsam: Wir stammen beide aus dem Sauerland, wurden im konservativ-katholischen Milieu sozialisiert und teilen die Leidenschaft für denselben Fußballverein. In meiner Jugend war ich Messdiener und in der KJG aktiv – und auch ich war einst CDU-Mitglied.

Doch ich mache mir Sorgen. Sorgen um die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes, während die USA wanken und Russland Krieg führt. Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands angesichts eines möglichen Zollkriegs mit den USA. Sorgen um Europa und den Erhalt seiner offenen Grenzen – beides wichtige Errungenschaften der CDU. Sorgen um die Missachtung der Klimakrise – insbesondere in der Union. Sorgen um unsere Demokratie, bedroht durch eine rechtsextreme Partei im Bundestag und eine zersplitterte Parteienlandschaft.

Was mich besonders erschüttert, ist Ihr Umgang mit dieser Situation.

Statt Orientierung zu bieten, spalten Sie mit Worten, die leichtfertig und populistisch klingen. Sie behaupteten, Flüchtlinge kämen leichter an Zahnarzttermine. Sie bezeichneten Ukrainerinnen, die ihre Männer an der Front besuchen, als „Sozialtouristen“. Jugendliche mit Migrationshintergrund nannten Sie pauschal „kleine Paschas“. Die Dringlichkeit der Klimakrise spielen Sie regelmäßig herunter. Und Ihre Partei nannten Sie die „Alternative für Deutschland mit Substanz“.

Noch gravierender sind Ihre widersprüchlichen Aussagen zur AfD. Einerseits sprachen Sie von einer Brandmauer, andererseits leugnen Sie, den Begriff jemals verwendet zu haben. Sie drohten Parteiausschlüsse an, wenn Unionsabgeordnete mit der AfD stimmen – doch genau das ist in der Herzkammer der Deutschen Demokratie geschehen. Wie sollen Bürger Ihnen noch glauben, dass Sie nicht doch eine AfD-gestützte Regierung anstreben?

Als Hunderttausende friedlich gegen eine Zusammenarbeit Ihrer Partei mit der AfD demonstrierten, beleidigten Sie uns als „linke und grüne Spinner, die nicht alle Tassen im Schrank haben“. Ein Affront gegen Menschen, die sich für unsere Demokratie einsetzen – während Sie selbst nach dem Mord an Walter Lübcke nicht auf der Straße waren. Und dann lassen Sie eine „Kleine Anfrage“ zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie den „Omas gegen Rechts“ oder dem BUND stellen. Ein Einschüchterungsversuch? Eine Retourkutsche für die Proteste?

Ich habe Ihnen eine Tasse unseres gemeinsamen Fußballvereins beigelegt.

Alle anderen Tassen habe ich noch im Schrank. Möge diese Tasse Sie daran erinnern, Herr Merz, dass nicht nur von NGOs organisierte „linke Spinner“, sondern überzeugte, bürgerliche Demokraten gegen eine Annäherung Ihrer Partei an die AfD protestieren.

Mit besten Grüßen aus Köln (früher Menden),
Christoph Schmidt